Aus meiner Sicht gibt es fünf Dinge, die über den Schwierigkeitsgrad eines Nähprojektes entscheiden. Wenn du selbst einschätzen können möchtest, ob ein bestimmtes Projekt zu deinem Können passt - dieser Beitrag ist für dich! Das heißt nicht, dass du jeder Herausforderung aus dem Weg gehen solltest. Aber vielleicht nimmst du die Hürden eine nach der anderen, und nicht alle auf einmal.

Die fünf Faktoren sind:

  • Der Stoff
  • Die erforderliche Genauigkeit
  • Die Schnittführung (eng anliegend oder weit)
  • Gefüttert oder ungefüttert
  • Das Gefühl

Je mehr dieser Faktoren zusammenkommen, desto schwieriger wird es. Eh klar. Aber schauen wir uns die einzelnen Punkte genauer an:

Der Stoff

Stoffe haben ein Eigenleben. Manche mehr, manche weniger. Vor allem Stoffe, die sie sehr dünn, glatt, rutschig und dehnbar sind. Oder gleich alles zusammen. Puh. Die können einem das Leben echt schwer machen. Einer Anfänger*in würde ich zum Beispiel nicht gleich zu Samt, Satin, Chiffon oder Jersey raten. Solche Stoffe sind schwieriger zu kontrollieren als Gewebe aus Baumwolle oder Wolle. Wollstoffe sind überhaupt dankbare Stoffe, auch weil man sie sehr gut bügeln kann.

Als weitere Schwierigkeitsstufe kommt bei den Stoffen große Muster dazu. Also Muster, die an den Nähten passen sollen, wie Karos, breite Streifen oder große florale oder geometrische Muster. Für Anfänger*innen sind einfarbige oder kleingemusterte Stoffe viel einfacher zu verarbeiten.

Die ultimative Herausforderung in meinem Berufsleben war, als ich einmal einen Nahtreißverschluss in einen karierten (gemustert!) Satin (rutschig!) im schrägen Fadenlauf (dehnbar!) einnähen musste. Heieiei. Ich weiß nicht, wie viele Versuche ich da gebraucht habe. Geschwitzt und geflucht habe ich auf jeden Fall. Aber am Ende war ich auch stolz, dass ich es geschafft habe. YESSS!

Darüber, wie wichtig die richtige Stoffauswahl ist, habe ich ja hier schon einmal geschrieben.

Die erforderliche Genauigkeit

Genauigkeit beim Nähen ist immer gut. Aber es ist ein Unterschied, ob ich einfach nur eine gerade Naht nähen muss, oder ob ich genau einen Punkt treffen muss. Das ist zum Beispiel bei eingeschnittenen Taschen der Fall. Also alle Paspel-, Klappen- und Leistentaschen. Auch bei kleinen verstürzten Teilen wie Taschenklappen und Krägen ist Genauigkeit angesagt. Vor allem, wenn beide Seiten gleich aussehen sollen!

Die Königsdisziplin in dieser Kategorie sind schräge Leistentaschen (Brusttaschen in Blazern und Mänteln) und Reverskrägen. In der Schneiderausbildung lernt man das auch erst im zweiten bzw. dritten Lehrjahr, also eher gegen Ende der Ausbildung.

Die Schnittführung

Eigentlich ist die Schnittführung ein Unterthema der Genauigkeit. Je körpernaher ein Kleidungsstück geschnitten ist, desto genauer muss man auch nähen. Das liegt daran, dass ein enges Kleid aus mehr Schnittteilen besteht. Bei jeder zusätzlichen Naht werden die Ungenauigkeiten addiert. Eine locker fallende Tunika ist einfacher zu nähen (bzw. verzeiht mehr Fehler) als ein auf Figur geschnittenes Etuikleid.

Dazu kommen kurvige Nähte. Bei einer Wiener- oder einer Prinzessnaht treffen konvexe und konkave Rundungen aufeinander. Genauso bei einem Ärmel mit einer hohen Armkugel. Und das ist natürlich schwieriger zu nähen, als zwei Teile, die deckungsgleich aufeinander liegen.

Gefüttert oder ungefüttert

Ein Kleidungsstück zu füttern ist erst einmal nur ein zusätzlicher Arbeitsschritt. Das Futter zu nähen ist nicht schwieriger, als den Oberstoff zu nähen. Aber das Einnähen des Futters kann eine Herausforderung sein. Am schwierigsten ist es, einen Rückenschlitz mit Futter zu verstürzen. Da muss ich auch jedes Mal wieder überlegen.

Das Gefühl

Gefühl ist vor allem dann gefragt, wenn irgendwo Mehrweite eingehalten werden muss. Sprich, wenn eine Nahtstrecke länger ist als die andere. Ein klassisches Beispiel ist das Einnähen eines Kugelärmels. Der Ärmel ist immer weiter als das Armloch, und wie man diese Weite verteilen muss, bzw. wie man überhaupt die Mehrweite einhält ohne dass man Fältchen näht, ist wirklich schwierig. Nimm dazu noch einen schwierigen Stoff – z. B. Samt – dann bist du bei der hohen Schule der Nähkunst angekommen!

Fazit

Ich hoffe, du hast einen Eindruck davon bekommen, was ein Nähprojekt schwierig macht und wo die Herausforderungen liegen. Als kleines Schmankerl habe ich meinen Ausbildungsplan ausgegraben. Dort kannst du noch einmal lesen, was in der Schneiderausbildung (zu meiner Zeit) wann dran kam. Daran kannst du ebenfalls die Schwierigkeitsstufen ableiten.

Mach dich nicht verrückt, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt. Auftrennen ist normal und Übung macht den Meister. Das gilt beim Nähen wie überall.

Was war denn deine größte Herausforderung bisher? Schreib’s mir in die Kommentare!

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